Du denkst du machst nicht ausreichend Sport? Wir zeigen dir auf, warum dieser Gedanke Blödsinn ist.
Dr. Silke Schäfer von StrongHabits (es freut mich sehr die deutsche Katy Bowman auf Paleo360 begrüßen zu können!) und klärt auf – wie du als Mama natürlich fit werden kannst.
Inspiriert durch den Paleo-Gedanken – also fit werden “wie in der Steinzeit” und das ganz einfach im Alltag integriert.
Und klar, der Text ist nicht nur für Mamas – sondern auch für Papas, die die es noch werden wollen – und bestimmt auch interessant für die Großeltern.
Zeit, diese Möglichkeiten zu entdecken!
Nährstoffreiche Bewegung – Nutritious Movement
So wie unser Körper täglich abwechslungsreiche Nahrung benötigt, benötigt er täglich vielseitige Bewegung. In unserer Gesellschaft versuchen wir diese mit Sport zu bekommen. Allerdings – wenn du zwei Stunden die Woche Sport treibst und sonst kaum Bewegung hast ist das, als würdest du an zwei Tagen nur Dessert essen und sonst die ganze Woche nichts. So wie wir unserem Körper täglich Nährstoffe übers Essen zukommen lassen, so erwartet er tägliche Bewegung, um gesund zu bleiben.
Verstehe mich nicht falsch – zwei Stunden Sport sind schon super – die wenigsten Menschen schaffen das. Im Vergleich zur Bewegung unserer Vorfahren und dem, woran sich unser Körper evolutionär angepasst hat, ist es sehr wenig Zeit und auch die Art der Bewegung unterscheidet sich.
In diesem Artikel möchte ich Müttern zeigen, wie sie von ursprünglichen Bewegungsgewohnheiten profitieren können, gerade weil Sport häufig nicht die erste Priorität ist, wenn man kleine Kinder hat.
Warum Sport als Mama manchmal zu viel ist, Bewegung aber immer geht
Als Mutter ist unser Alltag häufig geprägt von Zeitdruck, Schlafmangel und wenig Zeit für sich selbst. Strengt man sich dann mal etwas an, fängt man sich gleich eine Erkältung ein. Der Körper zeigt, er braucht mehr Ruhe. Auch wenn etwas mehr Fitness gut tun würde, extra einen Babysitter für den Sport zu organisieren scheint oft umständlich. Manchmal kommen auch „Mama-Probleme“ wie Beckenbodenprobleme, eine Rektusdiastase oder Brustentzündungen dazu, die einem den Sport vermiesen.
Lösung: Bewegung statt Sport
Die Lösung lautet „Bewegung anstatt Sport“ und im Folgenden werde ich näher erläutern, was ich damit meine und warum das auch aus Paleo-Sicht Sinn macht.
Wie sah Bewegung einer Mutter in der Steinzeit aus?
Wir sind ja hier auf Paleo360, da liegt es nahe, zu schauen, wie sich unsere Vorfahrinnen bewegt haben, um Rückschlüsse darauf zu ziehen, welche Art und Umfang unser Körper erwartet. Anhaltspunkte für diese ursprüngliche Bewegungsvielfalt finden Wissenschaftler durch Rückschlüsse aus fossilen Funden und in den noch heute naturnah lebenden Völkern wie den Hadza in Tansania oder den Tsimané in Bolivien.
Auffällig ist, dass diese Völker sich gar nicht so intensiv bewegen, wie wir uns vermutlich vorstellen – ausdauerndes Rennen oder kurze Sprints beim Jagen machen einen sehr kleinen Anteil aus. Dafür legen Naturvölker zwischen 6 und 12 km pro Tag zu Fuß gehend zurück (je nach Geschlecht und Volk, (1)) und verbringen über den Tag verteilt gute zwei Stunden mit moderat bis intensiver Bewegung (nach Wurzeln graben, Felle bearbeiten).
Den Rest des Tages, etwa 10 Stunden, verbringen sie in Ruhepositionen. Nur dass diese Ruhepositionen weiterhin „bewegt“ sind, da squatten, knien und generell auf dem Boden sitzen mehr Muskelaktivität verlangt als auf einem Sofa zu chillen (2).
Gerade für dich als Mutter, aber auch für alle Sportmuffel, sind das gute Nachrichten!
Wenn du keine Lust auf Sport hast, aber trotzdem eine gewisse Grundfitness erhalten willst, kommen hier vier Tätigkeiten, die schon deine Vorfahrinnen täglich gemacht haben.
4 Möglichkeiten, als Mutter fit zu werden wie in der Steinzeit (ganz ohne Sport)
1. tragen
Frauen aus heutigen Naturvölkern tragen regelmäßig Kinder oder schwere Gegenstände wie Wasserkanister oder Brennholz (3). Unsere Vorfahrinnen trugen ihre Kinder bis etwa zum Alter von 4 Jahren und legten mit ihnen etwa 4800km im Arm oder auf dem Rücken zurück (3). Das war neben der schieren Überlebensstrategie gleichzeitig eine ideale Rückbildung und Kräftigung.
Wie beginnen?
Achte einmal darauf, wo Räder deine Muskelkraft ersetzen!
Der Koffer hat Rollen, die Einkäufe hat man im Einkaufswagen und das Kind wird im Kinderwagen geschoben. Im nächsten Schritte kannst du erkunden, welche dieser Dinge du tragen kannst und was du dafür organisieren musst.
Tragetuch
Wer heute sein Kind trägt ist kein Öko mehr. Es gibt viele verschiedene und Tragetücher sowie Trageberatungen. Dabei ist wichtig, von Anfang an auf eine gute Technik zu achten, um keine Schmerzen zu bekommen. Wer eine nicht geschlossene Rektusdiastase oder einen schwachen Beckenboden hat, wendet sich an eine Physiotherapeutin, die sich damit auskennt!
Was ist mit schweren Gegenständen wie Getränkekisten? Du denkst vielleicht, dass es dir eher schadet, weil anschließend der Rücken wehtut. Je schwerer der Gegenstand (Wasserkiste, Zementsack) und je untrainierter der Körper, desto wichtiger wird die Technik. MovNat hat gute Anleitungen zum Tragen von Gegenständen frei verfügbar.
In meiner Rückenschule für Mamas lernst du unter anderem auch das richtige Tragen von Kindern und Gegenständen.
2. viel zu Fuß gehen
Auch wenn normales Gehen unspektakulär aussieht, es ist ein sanftes Ganzkörperworkout. Unser Körper erwartet tägliche Gehstrecken. Von den ca. 15.000 Schritten, die naturnah lebende Mütter pro Tag zurücklegen, solltest du dich nicht abschrecken, sondern inspirieren lassen.
Wo könntest du zusätzliche 1.000 Schritte einbauen?
Für dich als Mutter könnte Gehen der Schlüssel zu mehr Fitness sein, denn es lässt sich gut mit anderen Dingen verbinden. So kannst du die Kinder mitnehmen, ihr habt gemeinsame Zeit, Bewegung und seid an der frischen Luft. Vielleicht lässt sich ein kleiner Einkauf damit verbinden oder du nimmst eine Freundin zum Reden mit.
Auch wenn du mit kleinem Kind an der Hand nur im Schneckentempo voran kommst – du schenkst euch beiden wichtige Erlebnisse und euren Körpern wichtige Reize.
Eine Möglichkeit um mehr Schritte zu sammeln ist das Wandern. Wandern ist eine tolle Familienaktivität. Damit ihr alle Spaß dran habt, habe ich eine Anleitung erstellt.
Wie beginnen?
Zu Beginn könntest du deine Schritte pro Tag zählen (App auf dem Handy) um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viel du jetzt schon gehst. Die übliche Empfehlung von 10.000 Schritten bedeutet umgerechnet 6-7 km – lass dich wie gesagt nicht entmutigen. Gesundheitliche Effekte zeigen sich vermutlich schon mit weniger Schritten (7.500 werden diskutiert, (5)), Naturvölker laufen eher 15.000. Versuche zunächst einfach, mehr zu gehen.
Und was ist mit Joggen?
Aus meiner Sicht fangen viele Untrainierte zu schnell zu joggen an und dann auch mit zu hoher Intensität. Für dich als Mutter kommt noch die Sache mit dem Beckenboden dazu. Daher würde ich dir raten, zunächst eine stabile Geh-Routine zu haben. Damit tust du dir schon sehr viel Gutes.
Welche Schuhe sind die Richtigen?
Vielleicht hast du schonmal etwas von Minimalschuhen oder Barfussschuhen gehört? Ich empfehle dir, dir dieses Konzept mal anzuschauen. Deine Gehstrecken werden noch wertvoller für deinen gesamten Körper, wenn die vielen Gelenke und Muskeln in deinen Füßen auch arbeiten dürfen. Auch bei diesem Thema greift der Paleo-Gedanke – die Menschen hatten während des größten Teils der Evolution keine dämpfenden Sohlen oder Absätze. Schuhe erfüllten primär eine Schutzfunktion.
3. Auf dem Boden sitzen
Du denkst vielleicht – wie soll man davon fitter werden? Wie alles was ich dir hier beschreibe, ist auch auf dem Boden sitzen super im Alltag neben oder mit den Kindern machbar und es trainiert den Körper ohne ins Schwitzen zu kommen. Du musst es nur machen.
Auch wenn die Menschen schon früh Steine oder Baumstämme zum erhöhten Sitzen verwendet haben dürften, die meiste Zeit verbrachten sie auf dem Boden: hockend, knieend, im Schneidersitz, im Langsitz usw. (2). In vielen asiatischen oder afrikanischen Kulturen sitzen die Menschen auch heute auf dem Boden.
Was bewirkt auf dem Boden sitzen?
Im Gegensatz zum Stuhl-Sitzen musst du komplett runter auf den Boden und wieder hoch (=Kraft in den Beinen). Außerdem kannst du in vielen verschiedenen Positionen sitzen und nebenbei deine Beweglichkeit und Rumpfkraft verbessern. Wenn wir auf Stuhl oder Sofa sitzen, benötigen wir hingegen fast keine Muskelaktivität. Forscher diskutieren, ob dieser Faktor verantwortlich für die Schädlichkeit des Sitzens ist (2).
Wann könntest du auf dem Boden sitzen?
- Mit dem Kind spielen
- lesen
- Wäsche zusammenlegen
- am Laptop arbeiten
- welche Idee hast du?
Was musst du am Anfang beachten?
- Wirklich bequem ist es am Anfang nicht. Höre auf deinen Körper und wechsle häufig die Position. Wenn du hingegen in dich zusammengesunken dasitzt, fühlst du dich danach wie eine alte Oma oder dir schlafen die Beine ein.
- Viele haben verkürzte Beinrückseiten, was dazu führt, dass man mit Rundrücken sitzt. Daher sollten die meisten anfangs leicht erhöht sitzen (Yogakissen, dickes Buch unter dem Popo).
Du möchtest mehr über das Sitzen in Bewegung erfahren? Lies gerne hier weiter.
4. hangeln/klettern
Dass wir „von den Bäumen“ kommen erkennt man an unserem Schulteraufbau. Unsere Vorfahren haben Überkopfbewegungen verwendet um Essbares zu pflücken, sind in die Bäume geklettert um zu ernten oder sich vor Raubtieren zu schützen.
Bei uns sind Überkopf-Bewegungen sind vom Aussterben bedroht (außer bei Malern und Tapezierern ?). Das führt dazu, dass wir es nicht mehr (gut) können: verlieren wir diesen Bewegungsradius komplett nennt sich das “frozen shoulder”. Hinter Bewegungsschmerzen verbirgt sich meistens ein sogenanntes “Impingement Syndrom”. In einer Umfrage waren 14,1% der Frauen akut von Schulterbeschwerden betroffen (4).
Warum ich dir als Mutter das Hangeln oder Klettern empfehle:
- es ergänzt super das Gehen und Bodensitzen
- eine Frau, die einen Klimmzug kann ist einfach cool, oder?
- als Mutter hast du häufig unkomplizierten Zugang zu Hangelmöglichkeiten
- es trainiert neben den Armen auch die Rumpfmuskulatur
Wie beginnen?
Für den Einstieg lass es langsam angehen, denn dein Kraft-zu-Gewicht-Verhältnis könnte (mit Verlaub) noch nicht ganz ideal sein.
- Wenn du das nächste Mal auf dem Spielplatz bist, hänge dich doch mal an eine Reckstange, die Füße auf dem Boden. Mit mehr Übung kannst du mehr Gewicht auf die Hände übertragen. Irgendwann kannst du (wieder) frei hängen wie als Kind!
Starte mit dieser Übung:
Hänge dich an eine Stange, so dass deine Füße auf dem Boden stehen. Versuche, zwischen aktivem und passivem Hängen zu wechseln. Beim passiven Hängen sind deine Oberarme nah an deinen Ohren. Beim aktiven Hängen benutzt du die Rückenmuskulatur, um die Schulterblätter nach unten zu bringen – der Abstand zwischen Oberarm und Ohren wird größer.
- Halte Ausschau nach Hängemöglichkeiten: findest du in deiner Umgebung einen Baum mit einem Ast in der richtigen Höhe? Möchtest du für dich und deine Familie ein Türreck/eine Klimmzugstange installieren?
- Suchst du eine Sportart, die die ganze Familie gemeinsam machen kann und den gesamten Körper trainiert? Dann könnte bouldern etwas für euch sein. Google nach „Boulderhalle“ an deinem Wohnort. Lass die Kinder klettern und nebenbei kannst du selbst erste Kletterversuche unternehmen.
7 Argumente für natürliche Bewegung
Vielleicht bist du noch unsicher, ob die vorgestellten Möglichkeiten für dich Sinn machen.
Einig sind wir uns wohl, dass Bewegung nötig ist – je vielseitiger, desto besser.
Sport ist eine Möglichkeit, und falls du gerne Sport treibst, dann mach das bitte weiterhin (und zusätzlich etwas von meinen Anregungen)!
Falls dir das aktuell aber zu anstrengend oder zu umständlich ist (Kinderbetreuung!), sind die natürlichen Aktivitäten eine super Alternative.
Hier sind meine Argumente für diese natürliche Form fit zu werden.
- Natürliche Bewegung kannst du nebenbei und mit deinen Kindern zusammen machen
- Du hast dein Leben lang was davon. Wenn du jetzt daran arbeitest, auf dem Boden sitzen zu können und dann dran bleibst, kannst du das auch im Alter. Dasselbe gilt fürs Hängen, Tragen und Gehen.
- Natürliche Bewegung ist vielseitig, du bewegst den ganzen Körper. Überlastungen oder Verletzungen sind daher selten.
- Natürliche Bewegung ist auch mit wenig Energie oder Motivation machbar
- Es kostet fast nix. Vielleicht kaufst du dir ein Yogakissen oder ein Türreck zum Dranhängen.
- Du kannst typischen „zivilisationsbedingten“ Erkrankungen vorbeugen. Studien zeigen, dass Menschen, die viel gehen weniger von Diabetes II, Herz-Kreislauferkrankungen, Übergewicht und Depressionen betroffen sind (8) .
- Die WHO (6) und das BMG (7) schreiben in ihren Bewegungsempfehlungen nicht von „Sport“ sondern von „Aktivität“, wohlwissend, dass Sport nicht die einzige Möglichkeit für Bewegung ist.
Was machst du daraus?
Jetzt hast du diesen Artikel bis hierher gelesen. Die Gefahr, einfach weiter zu klicken und nichts umzusetzen ist groß. Bestimmt sind dir erste Ideen gekommen! Welche Punkte könnten für dich passen?
Die zwei erfolgversprechendsten Ansätze für eine dauerhafte Umsetzung solch neuer Aktivitäten sind
- Gewohnheiten bilden
- die Umgebung bewegungsförderlich gestalten
Gewohnheiten bildest du am besten, indem du dich durch einen Hinweis daran erinnerst. Könntest du dir beispielsweise gleich ein Kissen und dein Buch auf den Boden legen?
Noch besser ist es, das Umfeld so gestalten, dass es zu Bewegung anregt oder sogar keine andere Wahl lässt. Wenn ich beispielsweise kein Sofa habe, kann ich auf keinem sitzen (was für viele ein extremer Schritt sein dürfte).
Mit einem Laufband am Schreibtisch wirst du mehr Schritte gehen als ohne.
Eine Hangelgelegenheit in der Wohnung fördert diese Aktivität bei der ganzen Familie.
Wie könntest du also dein Umfeld verändern? Was musst du dafür organisieren?
Speichere dir den Artikel ab und komme wieder darauf zurück, wenn du die ersten Gewohnheiten etabliert hast. Ich wünsche dir einen bewegten Alltag mit deinen Kindern.
Einen herzlichen Dank nochmal an Silke für diesen Beitrag.
Hast du Lust darauf mehr von Silke und ihren Anregungen zu lesen? Schreib es einfach in die Kommentare.
Über Silke (ja genau, die deutsche Katy Bowman!):
Dr. Silke Schäfer ist Sportwissenschaftlerin und Coach. Sie zeigt Menschen, wie sie mehr Bewegung in den Alltag ihrer Familie bringen können. Wenn du mehr über dieses Thema wissen möchtest, besuche sie auf ihrer Seite StrongHabits. Hier auf Paleo360 können wir sie natürlich ganz getrost “Paleo Mama” nennen :)
Super Artikel! Vielen Dank für die kompakte motivierende Übersicht!
Liebe Samantha,
danke für deine netten Worte, das freut mich, dass es dich motiviert! Gibt es etwas, das du umsetzen möchtest?
Viele Grüße,
Silke
Super Beitrag ? wenn sowas noch in Richtung kindergetechte Paleo-Rezepte macht seit ihr eindeutig meine Lieblings Paleo Seite ?
Hi Tanya,
danke fürs Lob, das freut mich!
Gibt es etwas im Artikel, was du umsetzen möchtest?
Viele Grüße,
Silke